Führung durch die Ausstellung
Was für chronische körperliche Leiden gilt, ist auch bei schwierigen seelischen Befindlichkeiten wegweisend.
Helfen können wir immer
Lindern häufig
Heilen vereinzelt
Bei einem seelisch geschwächten Menschen sind nahestehende Personen in der Regel hilfsbereit. Um diese Hilfe besser wirken zu lassen ist es sinnvoll, wenn die Krankheiten der Seele verstanden werden.
Die Galerie zeigt mit der bildlichen Gestaltung von Seelenbefindlichkeiten Wege auf, um Menschen in aussergewöhnlichen Situationen zu begleiten.
Erste Sequenz
Seele, Geist und heilende Erscheinungen im volkskundlichen Denken
Zweite Sequenz
Die Lebensspiralen / Bildbeschreibung
Dritte Sequenz
Die Schicksalslinie / Mein ewiges Spiegelbild im Jenseits
Vierte Sequenz
Zwischenwelten
Fünfte Sequenz
Geisteskrankheiten
Sechste Sequenz
Seelenkrankheiten
Siebte Sequenz
Volkskundliche Erfahrungen des Erlöst seins
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Erste Sequenz
Seele, Geist und heilende Erscheinungen im volkskundlichen Denken.
Seele und Geistform
Auf diesem Relief ist die Beziehung von Seele und Geist dargestellt. Die Seele in rot wird mit leichten geistigen Wahrnehmungen inspiriert. Sie regelt die Beziehung zur Lebensrealität.
Der Geist ist im volkskundlichen Denken das raum- und zeitlose Spiegelbild der Seele und ist auf das Jenseitige bezogen.
Ein einfacher Vergleich dazu ist der Aggregatszustand von Wasser. Eis, flüssiges Wasser und Wasserdampf haben alle die gleiche Grundsubstanz und sind doch voneinander getrennt.
Die ewige Geistform des Menschen wird in der Volkskunde als Urgestalt bezeichnet.
Eine Replik zeigt wie vor Jahrtausenden eine Ägypterin mit ihrem Ba interagiert. Dieser Ba wird als das Spiegelbild der Frau dargestellt. Damit er jedoch die scharfe Trennung von Dies- und Jenseits symbolisiert, wird er in der Hieroglyphe als Stern geschrieben, ist also mit dem Entferntesten bezeichnet, das sinnlich noch Wahrnehmbar ist..
Von den Eigenschaften her ist der Ba und die Urgestalt der Volkskunde nahezu identisch. Das gilt auch für ihre Nähe zu (ihrem) Menschen.
In den Sagenerzählungen werden von Begegnungen mit etwas Jenseitigem als atheistische Jenseitserfahrungen seit Ahnenzeiten überliefert.
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Während einer Erscheinung vergeistigen sich mit der Seele auch die Gefühle. Oft wird dabei Frieden und Liebe im ewigen Sein erlebt. Stellvertretend berichtet eine Frau: „Auf einmal war alles Liebe. Die Liebe war um mich und in mir und schenkte mir unendliche Geborgenheit.“ Dieses Gefühlserlebnis überschreitet alles Irdische.
Viele Menschen hüllen sich in Schweigen, wenn sie eine Erscheinung oder anders gesagt, eine geistige Wahrnehmung erlebt haben. Weil ihr Erlebnis nicht in Worten fassbar ist, können sie sich in der Regel nur mit Menschen austauschen, denen ähnliches widerfahren ist.
(Siehe auch in der Rubrik Home, Video Nr. 1)
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Die Schwelle sich zu vergeistigen ist bei manchen Menschen niedrig. Ihre Geistform ist in der Seele überdurchschnittlich präsent.
Mit dieser aussergewöhnlichen Seelenbefindlichkeit können diese Persönlichkeiten etwas sehen, wo andere nichts sehen – sie haben die Gabe der geistigen Wahrnehmung.
Die Dinge zeigen sich in ihrer Geistform, also nicht allein wie sie real sind, sondern auch wie sie sein sollten.
In der Seele der Seherinnen und Seher ruht eine latente Vergeistigung. Daraus ergibt sie für diese Menschen die Option der geistigen Wahrnehmung, welche sie mit meditativen Praktiken abrufen können.
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Während die Seele sich für ihre grosse Reise vergeistigt, ereignen sich die meisten Erscheinungen, die als glückselig machende Erlebnisse geschildert werden.
In vergleichbar wenigen Fällen kommt es aber auch zu Wahrnehmungen, die Angst und Schrecken bis auf die Knochen erzeugen.
Böse und Gut
Zur besseren Unterscheidung sind auf diesem Relief beide Varianten dargestellt. Links findet ein Übergriff der noch unerlösten Geistform statt. Besonders, wenn ein Kind davon betroffen ist, kann dies länger andauernde seelische Schmerzen auslösen. Glücklicherweise ein eher seltenes Ereignis.
Die Seele auf der rechten Seite erlebt eine friedvolle Erscheinung. Ihre eigene Urgestalt nimmt die Wandlungsenergie des sich Vergeistigenden auf. Damit reichert sie die geistige Wahrnehmung in der Seele an. Viele Berichte schildern von die sich Erlösenden, wie sie sich in glückseliger Atmosphäre verabschieden.
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Zweite Sequenz
Die Lebensspiralen
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Bildbeschreibung:
Zeugung
Ich bin gezeugt – Raum und Zeit beginnt.
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Die Schwangerschaft
Ich löse mich langsam von meiner ewigen Geistform. Die Sinne bilden sich aus und bringen mir Raum und Zeit in meine Gefühle.
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Die Geburt
Ich werde geboren.
Mein erster Lebensübergang vom wohlig warmen Mutterbauch an ihre Brust.
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Mein Leben dehnt sich aus. Aus Krabbeln wird Gehen. Nach Muttermilch kommt mein Essen vom Teller. Aus ich bin, was man mir gibt, wird ich bin, was ich will.
Die Pubertät
Mit meiner werdenden Geschlechtsreife erlöscht in mir das Kindsein. Ich erahne die Morgendämmerung des Erwachsenenlebens.
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Die Lebenskreise werden weiter.
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Die Lebensmitte
Wie die Sonne am Mittag den Zenit überschreitet und danach dem Horizont entgegen sinkt, überschreite ich die Lebensmitte. Ich fühle die grosse Wende, in der sich meine Spiralkreise nach innen wenden. Das Annehmen des Alterns nährt den Lebenssinn.
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Das Leben zieht sich weiter zurück.
Erfahrungen, Einsichten und Erkenntnisse lassen in der Nachreproduktionsphase die Frauen zu grossen Müttern und die Männer zu grossen Vätern werden. Ich bin achtsam auf die Momente, in denen sich mein Lebenssinn in seiner Reife zu zeigen beginnt.
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Das hohe Alter
Ich sitze viel und lange am Fenster,
schaue hinaus und zugleich zeigt mir meine Seele innere Bilder.
Erlösungsvisionen wie es bald sein wird.
Frieden und Liebe.
Ich fühle inneres stilles Glück.
(Siehe auch in der Rubrik Home Video Nr. 5)
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Die Totenbesserung
Ich gehe wieder ein in jenes grosse Geheimnis,
aus dem ich einst gekommen bin.
Pflegefachfrauen erzählen von wundersamen „Heilungen“ bevor die Seele ihre grosse Reise beginnt. Patienten mit zermürbender Krankheitsgeschichte werden von ihren Schmerzen befreit und ihre Fröhlichkeit blüht wieder auf und bald danach schlafen sie friedlich ein.
Obige Darstellung zeigt die Seele auf dem zu Ende gehenden Lebensweg. Bei der Erlösungswandlung taucht sie in das jenseitige Leuchten ein. Dieser Mensch wird noch im Diesseits von jenseitiger Liebe, Friede und Geborgenheit umgeben. (Dargestellt mit roter Linie)
(Siehe auch in der Rubrik Home Video Nr. 2 „Erlösungsträume“)
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Dritte Sequenz
Die Schicksalslinie
Mein ewiges Spiegelbild im Jenseits
Bei all meinen Lebensübergangen kreuzen Körper und Seele die Schicksalslinie.
Einiges geht verloren.
Neues keimt und wird werden.
Die Schicksalslinie als jenseitige Urform meines Daseins
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Ich erleide eine Lebenskrise.
Schmerzvoll zerstückelt sich mein Lebensweg.
Was bisher war, macht keinen Sinn mehr.
Wie es werden soll, ist ungewiss.
Die Lebenskrise
Leid – vielleicht zerbreche ich
oder werde geläutert weitergehen.
Nach der Krise in der Lebensmitte beginnt meine Lebenslinie sich nach innen zu wenden.
Ich überschreite meinen körperlichen Leistungszenit.
Meine Seele zeigt Visionen der Erfüllung meines Lebens.
Diese Wahrnehmung führt mich zur bewussteren Selbstwerdung.
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Die Schicksalslinie als Geistform des Menschen
Vergleichende Trilogie
1
Folgendes Relief lässt sich beispielsweise für den Lebensübergang in der Pubertät betrachten. Der seelische Übergang in die Adoleszenz resp. ins beginnende Erwachsenenalter ist für manche Kinder nur schwer oder gar nicht zu bewältigen. Die Leiden des ungelebten Lebens entstehen.
Der junge Mann hängt mit 22 Jahren nur noch zuhause. Vor Monaten hat er zum zweiten Mal nach kurzer Zeit eine Lehre abgebrochen. Oft entsteht zwischen ihm und den Eltern heftiger Streit. Als sie seinen Wegzug aus dem Elternhaus verlangen, kontert er: „Dann bringe ich mich um“.
Ungelebtes Erwachsenenleben
Die Geistform leuchtet in das biologische Alter dieses Mannes. Dieser jedoch hat sich im Kindesdasein verschanzt und verliert viel an Spiritualität.
2
Die seelische Befindlichkeit in einem Burnout lässt sich im nächsten Bild unschwer erkennen. Diese Person ist dem spirituellen Leben davongerannt.
Je weiter sich die Seele von der eigenen Geistform entfernt,
desto rastloser das Leben.
Vordergründig erscheint diese Person im Burnout als das Gegenteil des 22-jährigen Mannes , welcher nicht ins Leben hineinwollte. Im Kern aber haben beide dasselbe Leid, nämlich verlorene Spiritualität.
Manchmal ist dann eben die korrektive emotionale Erfahrung eines Nervenzusammenbruchs der einzig verbleibende Leidensweg, mit dem die geschundene Seele wieder Einklang mit ihrer Urgestalt findet.
3
Leben heisst Krisen durchstehen. Wer jedoch in der Spiritualität seine Präsenz erlangt, wird seine Leiden verbunden mit seiner ewigen Geistform tragen. Das gibt Kraft und mildert den Schmerz in kritischen Zeiten.
Präsenz
Seele und Geistform sind aufeinander ganzheitlich bezogen.
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Vierte Sequenz
Zwischenwelten
Vorsicht mit der populären Bildmetapher, die für Demenzpatienten oft verwendet wird. Vordergründig stimmend zeigt sie einen Baum, welcher viele seiner grünen Blätter verliert. Das leere Geäst stellt die verlorenen Denkleistungen dar und die Blätter sind danach nutzlos und verwelken. Damit wird impliziert, dass diese Menschen leer und nutzlos werden.
Bei der Erlösungswandlung der Seele bleibt jedoch das Vergessene in seiner Geistform erhalten, was Erscheinungen möglich macht. Darum soll die geistige Ebene miteinbezogen werden, um einen an Demenz erkrankten Menschen zu begleiten. Achtsam sein auf das, was die demente Person uns mitteilt und selbst wenn seine Aussagen manchmal nicht leicht zu verstehen sind – es ist seine Spiritualität und die muss behütet sein.
Das folgende Relief zeigt einen Mann mit fortgeschrittener Demenz. Immer wieder setzt er sich ruhig in seinen Sessel und dann erscheint seine geliebte, längst verstorbene Schwiegermutter. Danach erzählt er sanft von ihrem friedlichen Zusammensein.
Die Seele dieses Mannes vergeistigt sich und geht in ihre Geistform über. Das ist ein Verlust im Diesseits. Heilsam öffnen sich dafür im Jenseits geistige Wahrnehmungen.
Spiritualität in der Demenz
Auf einem Spaziergang am See entlang begegne ich einer Bekannten mit ihrem an Demenz erkrankten Mann. Bei der Begrüssung zeigt er mir eine Ente, die am Ufer emsig nach Gräsern schnappt. Achtsam verweilen wir wortlos bei diesem munteren Treiben. Dann weist die Frau auf die glitzernden Sonnenstreifen in den Wellen hin. Wieder verweilen wir, bis der Mann ergriffen sagt: „Das ist schön“.
Feinfühlig und freudvoll klingen seine Worte in mir nach, als ich alleine weitergehe. Mit seiner Ruhe, seiner Sinnlichkeit und seinem Feingefühl hat mich der Mann in seine Präsenz eingeweiht.
Als sich dieser Mann vom Diesseits erlöste ist er seiner geliebten Schwägerin erschienen. Sie berichtet folgendes:
„Ich sass gerade bei einer Tasse Kaffee auf dem Holzhocker vor der Terrassentür im Wohnzimmer und schaute in die goldene Morgensonne und in den golden blättrigen Garten…als plötzlich mein Schwager vor der Fensterscheibe stand und mir fröhlich ins Gesicht schaute. Er machte einen Schritt auf mich zu…durchs Glas hindurch und stand mitten im Tischchen vor mir. Er und ich waren so voller Freude. Ich dankte ihm dafür, dass er mein Schwager war und für seine Sprache, die für mich immer lustig war…und die Freude…die wir miteinander hatten. Er sah gesund und vital und fröhlich und stark aus. Dann ging er in seinem gelben Tschirt und seiner hellblauen Jeans zur Terrassenbrüstung und schaute freudig auf den schönen Herbstgarten hinunter. Auf einmal war er unten im Gras ohne die Treppe zu benutzen und hüpfte und rannte über die Wiese. Der weisse Reif im Gras machte ihm nichts aus.
Es geht ihm gut.
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In den Bereich der Zwischenwelten gehört auch das weite Spektrum der Nahtoderfahrungen.
(Stellvertretend dafür in der Rubrik Home das Video Nr. 4.)
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Freitod
Bei der Sterbehilfe kennt man beispielsweise Begriffe wie: „Assistierte Tötung oder Tötung auf Verlangen“. Das Wort Tötung schafft zwar Rechtsklarheit, aber unter den schmerzlichen Umständen eines Schwerstkranken ist eine mildere Wortwahl „Not-wendig“. Zum seelischen Wohl für den Sterbenden und auch für die Umstehenden könnte es beispielsweise an dieser Stelle heissen:
„Erlösung auf Verlangen“
Man stelle sich eine Mutter vor, die ihren Kindern am Todestag erklärt: „Ihr wisst, dass euer Papi sterbenskrank war und nur noch gelitten hat. Jetzt hat ihn der Doktor auf sein Verlangen hin getötet“. Liesse sich hier nicht viel einfühlsamer von der betroffenen Mutter sagen: „Euer Papi hatte sich nur noch nach Erlösung von seinen Leiden gesehnt und der Doktor hat ihm beim Loslassen aus dem Diesseits geholfen“. Meiner Ansicht nach müsste man hier in der Rechtssprechung den Terminus „Erlösung“, wenn immer möglich, durchsetzen. Dies wäre letztlich auch dem Ansehen der Ärzte gerecht.
Selbsterlösung
Auch beim Suizid von depressiven Menschen machen Worte sowohl etwas mit dem Gegangenen als auch mit den Umstehenden. Nach Aussage der Schulmedizin ist die Grunderkrankung einer Depression potenziell behandelbar, was in manchen Fällen ein überhöhtes Heilsversprechen suggeriert. In dieser Aussage fehlt für mich so etwas wie eine Generalklausel, welche die besondere Ausnahme in einer milden Form benennt. Ansonsten bezahlt der Suizidale ungerechtfertigt den zu hohen Versagenspreis für das zu hohe Heilsversprechen der Psychiatrie. Bedenkt man hier beispielsweise die Situation eines Vaters, der seine beiden primarschulpflichtigen Kinder am Esstisch versammelt und ihnen erklärt: „Soeben ist mir mitgeteilt worden, dass eure Mutter trotz jahrelanger psychiatrischer Betreuung heute Morgen Selbstmord begangen hat“. Das ist zu hart und die Psychiatrie bildet hier völlig unnötig das Formulierungsfundament dieser Härte.
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Plötzlicher Todesfall
Eine Frau ist soeben vom Spital heimgekehrt und leert in der Waschküche den mitgebrachten Kehrichtsack. Die Kleidungsstücke ihres geliebten Schwiegervaters fallen vor der Waschmaschine auf den Boden. Ihre Hände zittern stark und die Kleider, die sie aufheben will, gleiten ihr aus den Fingern. Sie hat Tränen in den Augen, denn ihr Schwiegervater erlitt vor wenigen Stunden einen Herzinfarkt und war auf der Stelle tot.
Auf einmal legt sich Herzenswärme in ihr Gemüt. Jetzt hört sie in liebenswertem Humor ihren Schwiegervater sagen:
«Jetzt tu doch nicht so blöd.»
Sie spürt seine Liebe – seine Präsenz und beruhigt sich. Sorgsam und respektvoll wäscht sie nun zum letzten Mal seine Kleider.
Vordergründig scheint es die Träume nicht zu kümmern, dass der Mensch stirbt. Für die Seele gehört das Sterben zur Natur des Lebens, warum also sollten sich die Träume dagegen wehren? Aber wenn die Haltung des Bewusstseins gegenüber der grossen Erlösung nicht stimmt, resp. wenn die Sterbehaltung korrigiert werden muss, wird der Traum sich melden.
Träume können auch die Umstehenden auf das Erlösungsereignis vorbereiten.
Eine Frau erzählt ihren Traum der letzten Nacht:
Im Traum steht sie auf einem Weg, der sich durch eine sanft hügelige Landschaft schlängelte. Plötzlich ist sie erfüllt von Liebe und fühlt einen Arm auf der Schulter von jemand, der seitlich hinter ihr ist. Sie fragt: „Wer bist du?“ Darauf hört sie eine Männerstimme:
„Du kennst mich schon.“
Das war mitten in der Nacht und sie erwachte davon in einem allesumfassendem Glücklichsein.
Dann erzählt sie vom Nachtessen im Restaurant am Vorabend:
Ihr Mann sei so galant zu ihr gewesen, wie sie das mit ihm noch nie erlebt habe – sogar die Brötchen habe er ihr gereicht. Als sie dann zuhause in der Stube waren, sei nochmals etwas noch nie Dagewesenes passiert. Er habe Musik gemacht und dazu fröhlich singend getanzt.
Stunden nach diesem Gespräch erhält die Frau die Nachricht vom plötzlichen Herztod ihres Mannes.
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Unerlöste Geister
Im Gegenteil zu den in Frieden und Liebe sich Erlösenden kommen unerlöste Geister eher selten vor. Doch wie das folgende Beispiel zeigt, kann ein spirituelles Fehlverhalten bei einem Todesfall fatale Folgen haben.
Bei einem Gartenfest komme ich mit einer Frau ins Gespräch. Nach einer Weile erzählt sie vom plötzlichen Tod ihres Nachbarn. Schnell wird sie zornig und betont dessen dumme Hinterhältigkeit. Sie macht keinen Hehl daraus, dass es um diesen „Trottel“ nicht schade ist. Dann beginnt sie ihn nachzuäffen – seinen Gang in leicht gekrümmter Haltung und sein stets auf den Boden gerichtetes Gesicht.
Mehrmals führt sie hintereinander verhöhnend seinen Gang vor. Ich spüre jetzt schnell zunehmend einen Druck auf meiner Brust und rate ihr auf der Stelle damit aufzuhören.
Anderntags ruft sie mich an und berichtet von der Erscheinung des Verstorbenen bei ihr in der Nacht. Verzweifelt berichtet ausgerechnet sie als Atheistin von ihrer Pein und Ohnmacht: „Ich bin noch immer wie von ihm umklammert – was kann ich nur dagegen tun?“
Zuerst sage ich ihr, dass ich keine Kompetenzen in Geisterbeschwörung und Schamanismus habe und ich mir somit keine Aussage in diesen Bereichen anmassen kann.
Allerdings rate ich ihr zu den heilenden Hausmittelchen, von welchen die Volkskunde in ihren Sagen erzählt:
Über frisch Verstorbene sollst du niemals böses sagen, wenn doch ziehst du Böses an.
Erscheint dir ein unerlöster Geist, gehe an den Ort der Erscheinung oder an eine sakrale Stätte. Rede mit dem Unerlösten als würde er wie ein Lebender vor dir stehen. Ist der Geist einem Kind erschienen, sollen die Eltern stellvertretend mit ihm sprechen.
Hast du ihn beleidigt, entschuldige dich.
Sage dem Unerlösten, dass er gestorben ist und jetzt zu den Jenseitigen gehöre.
Lass in ihm keinen Zweifel aufkommen, dass er hier nichts mehr zu suchen hat.
Rate ihm sich dem jenseitigen Leuchten hinzuwenden, wo er Erlösung finden werde.
Wünsche ihm alles Gute auf seiner grossen Reise und sage ihm; geh in Frieden.
Für die Atheistin war die Befolgung dieser Ratschläge peinlich, insofern ich ihr geraten habe für das Gespräch in eine Kirche zu gehen und eine Kerze anzuzünden. Da sie in grosser Not war, ist sie dem Rat widerspruchslos gefolgt.
Kaum hatte sie ihr Ritual beendet, war sie wie durch ein Wunder von dem Geist befreit.
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Fünfte Sequenz
Geisteskrankheiten
In der Psychiatrie werden manche Leiden als Geisteskrankheiten bezeichnet. Diese kennt die Volkskunde auch, nur werden sie dort Seelenkrankheiten genannt. In dieser Sequenz werden zuerst die Geisteskrankheiten in psychiatrischen Lehrmodellen betrachtet. In der nächsten Sequenz werden dieselben Geisteskrankheiten als seelische Befindlichkeiten im volkskundlichen Denken dargestellt. Auch wird aufgezeigt, wie diese Denkweise seit jeher Leiden linderte.
Zusammen mit den bildlichen Darstellungen auf den Reliefs sollen die Umstehenden Möglichkeiten finden, wie sie sowohl der leidenden Person helfen, als auch die schulmedizinische Behandlung unterstützen können.
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Die Neurose
Auf Grund der familiären und gesellschaftlichen Erziehung bilden sich in der Seele Neurosen. Dafür sind beispielsweise Tabuthemen wie Scham und Liebesentzug bei Moralverstössen verantwortlich. Alle Menschen haben ihre Neurosen. Das ist natürlich und auch nicht weiter schlimm. Einschneidend für die seelische Befindlichkeit ist es jedoch, wenn die Neurose einen krankhaften Zwang ausübt.
Nehmen wir als Beispiel die Dozentin an der Universität. Jeden Tag muss sie auf dem Weg zur Arbeit weggeworfene Zigarettenstummel aufheben. Tut sie das nicht, bekommt sie ein schlechtes Gewissen und Angstzustände.
Das eigene krankhafte Verhalten ist ihr bewusst und sie will darum auch nicht, dass andere Leute ihr Tun bemerken. Darum hat sie einige Tricks entwickelt um ihr Tun zu kaschieren. Manchmal lässt sie neben dem Zigarettenstummel ein Taschentuch auf den Boden fallen und hebt es dann wieder auf – selbstverständlich mit dem Stummel darin. Ein anderes Mal bindet sie sich neben dem Objekt ihrer Pein die Schuhe und lässt es beiläufig verschwinden.
Die neurotische Seele lebt, wie in diesem Relief abgebildet, auf festem Grund. Sie hat einen guten Bezug zur Realität. Einzig der kleine, abgespaltene Seelenaspekt wird sich mehr oder weniger zwanghaft auswirken. Wie bei der erwähnten Dozentin kann er sich auf destruktive Weise gegen sie wenden.
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Borderline
Die Bauersfrau lebt auf einem entlegenen Hof, den sie zusammen mit ihrem Mann bewirtschaftet. Am Gehöft vorbei führt ein Feldweg, auf dem öfters eine fremde Frau ihren Hund spazieren führt. Diese Hundehalterin weiss viel und ist gesprächig, was die Bauersfrau in ihrer Abgeschiedenheit schätzt. Nur – die Hundehalterin redet manchmal schier endlos und wirkt dann zunehmend seltsam. Sie hat dann kein Gefühl dafür, wann genug geredet ist.
Die Bauersfrau erzählt mir im Vertrauen von diesen Begegnungen. Sie möchte diese Bekanntschaft pflegen, aber auch nicht unhöflich der Hundehalterin gegenüber das Gespräch abbrechen, wenn noch Arbeiten anstehen. Womöglich käme sie dann nicht mehr vorbei.
Ich erkläre der Bauersfrau, dass diese Hundehalterin wahrscheinlich Borderlinezüge aufweist und darum von vielen gemieden wird. Das Wort Borderline erkläre ich der Landwirtin mit einer für sie leicht verständlichen Metapher:
„Das ist wie eine umzäunte Weide, auf der die Kühe grasen. Doch leider fehlt im Zaun ein 10 Meter langes Stück Draht. Wenn die Kühe durch diese Lücke hindurch gehen, laufen sie endlos davon.“
Die Bauersfrau versteht diesen bildlichen Vergleich und will wissen, was man dagegen tun könne. Ich gebe ihr den Rat, das fehlende Stück Draht im Zaun zu ergänzen. Konkret bedeutet dies:
Vereinbaren sie mit der Hundehalterin einen Minivertrag.
Am Anfang jeder Begegnung solle sie der Hundehalterin die zur Verfügung stehende Zeit bekanntgeben und sie fragen, ob sie damit einverstanden ist.
Danach fragt sie die Frau, ob sie damit einverstanden ist, dass wenn die Zeit abgelaufen ist, sie das Gespräch beendet.
Ist die Hundehalterin mit beidem einverstanden, kann das Gespräch beginnen.
Wochen später besucht mich die Bauersfrau und überreicht mir zum Dank für den Rat ein wackeres Stück Käse. Sie berichtet von der freundschaftlichen Beziehung, die mit der Hundehalterin zwischenzeitlich entstanden ist. Schliesslich erzählt sie von einem sechs Seiten langen Brief, welchen die Frau ihr schrieb. Mehrmals bedankt sie sich bei der Landwirtin für die guten Gespräche und für den bestimmten aber stets höflichen Umgang mit ihr. Es sei ihr klar, dass sie manchmal ihre Grenzen nicht kenne. Im Moment aber, wo das passiere, habe sie kein Bewusstsein für ihr Verhalten.
Die Seele steht in weiten Teilen auf festem Grund, jedoch können zeitweilig einige Aspekte ihren Bezug zur Realität verlieren. Im Moment der Grenzüberschreitung ereignet sich deshalb ein Teilverlust des Realitätsempfindens.
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Schizophrenie
Ein Bekannter bittet mich um einen Rat:
Ein Geschäftskollege von ihm sei in letzter Zeit ziemlich eigenartig. Er behauptet, dass er verfolgt werde. Nachts steige jemand über die Fassade auf das Dach seiner Penthaus-Wohnung im zwölften Stock. Deutlich höre er den Verfolger auf dem Flachdach über ihm herumlaufen. Auch im Auto werde er verfolgt und darum habe er im Handschuhfach immer eine Pistole mit dabei.
Ich rate meinem Bekannten mit dem psychiatrischen Notfalldienst Verbindung aufzunehmen. Der Geschäftskollege leidet wahrscheinlich an einem Realitätsverlust und das muss zeitnah abgeklärt werden. Insbesondere muss umgehend die Frage beantwortet werden, ob wegen der Pistole eine akute Gefahr gegenüber Drittpersonen besteht.
Die sich steigernden Wahnvorstellungen haben den Boden unter der Seele einsinken lassen. Ein Teil der seelischen Befindlichkeit hat sich von der Persönlichkeit abgespalten. Ein Realitätsverlust ist entstanden. In der akuten Phase braucht diese Person dringend eine schulmedizinische Behandlung.
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Depression
Weil die Seele in der Depression einen Sinnverlust erleidet, sind latente Freitodfantasien keine Seltenheit. Diese Personen sind auf die pflegende Beziehung der Umstehenden angewiesen. Es empfiehlt sich jedoch zwei Persönlichkeitstypen zu unterscheiden, nämlich das Hunde- und das Katzennaturell.
Das Hundenaturell kann beispielsweise der „Karl“ sein. In seinen Vereinen hat er sich wohl gefühlt und war immer eine treue Seele, wenn er die ihm zugeteilten Aufgaben erledigte. Vielleicht durch einen Schicksalsschlag hat sich dieser Karl nun von allem Äusseren zurückgezogen. Hier herrscht Suizidgefahr. Die Umstehenden sind gefragt, ihn wieder in die Geselligkeit zurückzuführen. Und wenn es nicht anders geht, dann macht man halt einen Kartenspiel-Abend bei ihm zuhause statt in der Beiz.
Das Katzennaturell muss sein Problem im Alleinsein überwinden und die Umstehenden haben diesen Freiraum zu gewähren. In der Regel haben diese Menschen immer schon ein eher zurückgezogenes Leben geführt. Grund zur Sorge besteht hier besonders dann, wenn eine nahestehende Bezugsperson stirbt.
„Der Tod ihres Mannes hat Frieda vereinsamen lassen. Trauern kann sie nur im Alleinsein und tröstende Worte empfindet sie als belastend. Wenn überhaupt, findet sie nur in inneren Bildern Trost.“
Die Umstehenden sollten diese seelische Befindlichkeit in der Beziehung mit Frieda respektieren. Zu Beginn eines Gesprächs ist die Frage wichtig, wie geht es dir. Für die Antwort braucht sie Raum und Zeit, sowie Präsenz des Gegenübers. Kein „Ja, aber…“ und keine Floskeln wie „Das wird schon wieder“. Für Frieda ist in gewissen Momenten gemeinsames Schweigen wichtiger als Reden.
Am Schluss des Zusammenseins soll mit Frieda respektvoll der nächste Kontakt vereinbart werden:
„Ich bin froh Frieda, wenn du mich Morgen anrufst und mir erzählst, wie es dir geht. Oder ist es dir lieber, wenn ich morgen anrufe? Möchtest du zum Einkaufen mitkommen oder kann ich dir etwas mitbringen?“ Usw.
Im Grundsatz geht es um Angebote bei denen (das Katzennaturell resp.) die Souveränität von Frieda gewahrt bleibt.
Eine schwere Depression geht mit dem Verlust des Lebenssinnes einher. Die Seele versinkt in einem Loch und verliert den Lebenshorizont.
Alles was war, erblasst in der Erinnerung.
Für Visionen und um Pläne zu schmieden, fehlen Kraft und Motivation.
(Zur seelischen Befindlichkeit in der das Problem im Alleinsein überwunden werden muss, siehe auch in der Rubrik Kulturangebote Video: „Der Regenmacher“)
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Spirituelles Geborgensein
Bei der Spiritualität im Zusammenhang mit einer Geisteskrankheit sind zwei Aspekte zu unterscheiden:
Zum einen können zerstörerische Wahnvorstellungen ein Gottesbild kreieren, welches ein gefährliches, mitunter gewalttätiges Allmachtempfinden auslöst. Die Betroffenen entfremden sich dadurch noch weiter von der Realität.
Andererseits können spirituelle Bilder und Rituale lindernd auf psychischen Schmerzen wirken. Die Betroffenen leben in einer aussergewöhnlichen Befindlichkeit und die Spiritualität ist diesem Umstand angepasst. Sollte den Umstehenden hier so manches seltsam erscheinen, wenn sich jedoch das Gemüt bei seinen Ritualen geborgen fühlt, sind sie heilend.
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Sechste Sequenz
Seelenkrankheiten
Ruhelosigkeit
Im volkskundlichen Denken sind in den Sagenerzählungen viele Geistererscheinungen überliefert. Meistens handeln sie von unerlösten Geistern oder von sich vergeistigenden Seelen auf dem Erlösungsweg. Die unerlösten Geister sind zwar in den meisten Fällen ruhelos, aber sie werden deshalb nicht als krank bezeichnet. Jedoch können sie einen Lebenden krank machen, wenn sich seine Seele nicht gegen den Ruhelosen wehren kann.
Seit Ahnenzeiten kennt die Volkskunde die Leiden des seelischen Getrieben-Seins. Wer die Weisheit in den Sagen erkennt, wird darin heilsame Hausmittelchen finden.
Die bildliche Gestaltung soll den Umstehenden helfen die Krankheit besser zu verstehen. Die seelischen Hausmittel können so wirkungsvoller die stete Unrast lindern.
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Bildbeschreibung:
Wie die gesunde seelische Befindlichkeit aussieht, ist auf diesem Ausschnitt sichtbar.
Die Seele macht sich ein reales Bild des Daseins (Lehmkrreis) und ist darin behütet.
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Getriebenheit
Ob in der volkskundlichen Betrachtungsweise die Seele krank ist oder die Geisteskrankheiten der Psychiatrie im Fokus sind, löst letztlich oft dasselbe Leiden aus – die Ruhelosigkeit. Im folgenden Reliefausschnitt hat die Seele ihren Schutz verloren. Das Abbild der Realität hat Risse bekommen. Fremde Geister beherrschen ungehindert die Gedanken.
Ruhe ist ein kostbares Gut des menschlichen Daseins. Sie zu pflegen, ist eine Arbeit, die täglich geleistet werden muss. Bedeutungsvoll sind dabei Achtsamkeit auf die einfachen Gegebenheiten des Lebens und in ihnen präsent werden.
Ein Mensch mit einer anhaltenden Ruhelosigkeit braucht für die Wiedererlangung der Achtsamkeit und der Präsenz begleitende Hilfe. Erst muss eine Tagesstruktur erarbeitet werden, sozusagen ein Stundenplan, in dem die täglichen Tätigkeiten ihre klaren Gefässe finden.
Danach geht es auf die Suche nach weiteren Optionen für musische und schöpferische Tätigkeiten, sowie für zwischenmenschliche Beziehungen, welche in Achtsamkeit und Präsenz möglich werden sollen. Damit erhält der Stundenplan fixe Tätigkeiten wie Aufstehen, Toilette, Morgenessen, kleinere Hausarbeiten etc.
Als Ergänzung empfiehlt sich eine Liste als Pflege des menschlichen Seins. Diese kann beispielsweise Optionen enthalten wie:
Mit wem kann ich heute ein gutes Gespräch führen?
Wann setze ich mich gemütlich hin und höre berührende Musik oder lese ein gutes Buch?
Wie belohne ich mich für die erledigten Hausarbeiten?
Wo kann ich wohltuend ein Bild, Blumen oder spontan ein Schmetterling betrachten und darin verweilen?
Welchen Spaziergang geniesse ich heute?
Habe ich Lust zu malen oder etwas zu schreiben?
Diese Liste kann beliebig erweitert und angepasst werden und soll mit der zu begleitenden Person –
in aller Ruhe,
das heisst, in einem schöpferischen Akt des Wohlbefindens erarbeitet werden.
Diese Fragen und deren Umsetzung ermöglichen der Seele Aufmerksamkeit auf äussere Ereignisse und Präsenz in ihnen.
Zu Situationen, in denen die Fragen nicht mit der zu begleitenden Person erarbeitet werden kann, ist am Schluss dieser Rubrik ein längerer Beispielfall eingefügt.
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Spiritualität
Nach einem Nervenzusammenbruch folgte für eine Frau ein längerer Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik. Jetzt, wo ich an ihrem Grundstück vorbeispaziere, kann sie wieder alleine in ihrem Haus wohnen. Im Garten und auf dem Vorplatz sehe ich bunte Tücher verteilt. Sie sind an einem Ende zusammengeknotet und sehen aus wie Tiergesichter mit Schnauze und Ohren.
Zufällig schaut die Frau aus dem Fenster und wir begrüssen uns. Ich frage, wie es ihr geht. Danach erkundige ich mich nach den bunten Tüchern, welche rund um das Haus verteilt sind. Humorvoll und doch bestimmt gibt sie mir zur Antwort:
„Das sind meine Wachhunde,
ich will doch in meinem Zuhause keine ungebetenen Gäste.“
Geisterbann
Die Seele ist an einer Stelle verwundet und fremde Geister drohen Wirklichkeit zu werden.
Alles, was Geborgenheit schenkt, ist segensreich. Seien es die Menhire unserer Urahnen oder die Wachhunde, welche aus bunten Tüchern zu Tiergesichtern zusammengekotet sind.
Wirklichkeit ist, was wirkt.
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Der Traum
Wochen später ruft mich die Frau mit ihren bunten Wachhunden an und erzählt mir einen Traum:
Ich bin in einem Flugzeug und steige aus auf eine Wolke.
Dann rufe ich nach unten: „Kann ich abwerfen?“
Zwei Männer rufen: „Ja.“
Ich werfe ab: Einen Rucksack und ein kleines Paket.
„Kann ich springen?“
„Hast du einen Fallschirm?“
Ich greife an meinen Rücken und werde unsicher.
„Ich weiss es nicht.“, rufe ich hinunter.
Von dort kommt die Anweisung, stehen zu bleiben.
Die Wolke ist so gross wie ein Küchenschemel. Es windet heftig,
aber Angst habe ich keine.
In einem ausführlichen Gespräch klären wir die Symbolik des Traumes:
Wir reden über den Rucksack und über das Paket und damit über
Lebenslasten, welche sie abwerfen kann.
Dann erzählt sie mir von ihren Medikamenten, die sie gerne absetzen würde.
Bezogen auf den Traum rate ich ihr davon ab, denn die Medikamente lassen sie auf der Wolke schweben. Würde sie diese absetzen, käme dies einem Sprung von der Wolke ohne Fallschirm gleich. Das wäre dann ein zu harter Aufprall auf dem Boden der Realität. Offensichtlich will der Traum davor warnen und gibt die Antwort stehen zu bleiben.
Ich rate ihr das Absetzen der Medikamente mit ihrem Arzt zu besprechen. Vielleicht besteht die Möglichkeit einen Fallschirm zu erarbeiten, mit welchem eine sanfte Landung in der Realität möglich wird.
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Siebte Sequenz
Volkskundliche Erfahrungen des Erlöstseins
Die Wandlung der Seele in ihre Geistform kann in einem Augenblick geschehen, sie kann jedoch auch Monate dauern. Zwischen Himmel und Erde ist vieles möglich und das bezeugen unzählige Berichte.
Beistand einer Jenseitigen auf dem Erlösungsweg
Mit diesem Relief lassen sich zwei Arten von Berührungen mit Erscheinungen darstellen. Zum einen sind es Seelen, die sich vergeistigt haben und sich zur Verabschiedung in ihrer Geistform einem Lebenden zeigen. Andererseits kann eine längst verstorbene Jenseitige in ihrer Urgestalt erscheinen um einen Menschen in seiner Erlösungswandlung zu begleiten.
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Geistige Begegnung
Selten und doch sehr eindrücklich sind Berichte, wonach ein sich vergeistigender Menschen eine andere schwer kranke Person wahrnimmt.
Ein Familienvater mit zwei Kleinkindern kommt zum Gespräch:
Er erzählt, dass er im Traum einen Vogel mit Menschengesicht gesehen habe. Einen derart intensiven Traum habe er noch nie gehabt und er konnte ihn weder bewältigen, noch loswerden. Drei Wochen später erhielt er die Diagnose Krebs.
Die Krankheit nahm einen tragischen Verlauf und als er nach einem Jahr zu seiner letzten Behandlung im Spital sein Zweierzimmer bezog, erschrak er. Im Bett nebenan lag ein Mann mit genau dem Gesicht, welches er ein Jahr zuvor in der Traumvision gesehen hatte.
Zwei Tage später verstarb der Bettnachbar und bald darauf musste auch der Familienvater dieses Schicksal hinnehmen.
Erstaunlich ist die Tatsache, dass sich der Traum ereignete, als dieser Mann noch nicht von seiner Krankheit wusste. Zwischen der Erscheinung im Traum und der realen Begegnung lag rund ein Jahr.
Wer dafür eine Erklärung finden will, darf sich die Traumbegegnung nicht sinnlich, also in Raum und Zeit vorstellen.
Hier ereignete sich eine geistige Wahrnehmung der Geistform eines anderen Menschen.
Diese Begegnung spielte sich ausserhalb von Raum und Zeit ab. Mit anderen Worten: In der Ewigkeit, ohne Vergangenheit und Zukunft.
(Siehe auch in der Rubrik Home / Video Nr. 3: Carl Gustav Jung und die Urgestalt)
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Das Nachtvolk
Die Sagen um das Nachtvolk sind weit verbreitet. In der Erzählweise sind die kulturell bedingten Inhalte unterschiedlich und reichen bis ins Heidentum zurück. Reduziert man sie jedoch auf die Kernaussage, kann man folgende Struktur erkennen:
Mit zunehmender Vergeistigung der Seele eines sich Erlösenden
verstärken sich seine geistigen Wahrnehmungen.
In vielen dieser Sagen sieht sich eine Person als letzte im vorbeiziehenden Geisterzug. Dieser Mensch hat also bereits eine hohe geistige Wahrnehmung der eigenen Urgestalt. Das bedeutet, dass die Seele schon tief in der Vergeistigung und demnach im Sein der jenseitigen Geistformen übergegangen ist. In den Überlieferungen der Volkskunde wird diese Person bald sterben.
(Siehe auch in der Rubrik Home Videos Nr. 3/6)
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Die Urform allen Lebens
Wie wird es sein?
Ist die Geistform im ewigen Sein behält sie ihre individuelle Eigenheit. Sie durchdringt jetzt alles und wird von allem durchdrungen. Sie ist im Sein des jenseitigen Leuchtens und damit geborgen in der namenlosen Urkraft, der Urform allen Lebens.
Aus dieser Urform bezieht die Theologie seit jeher ihre Gottesbilder, die sie entsprechend den kulturellen Gegebenheiten unterschiedlich pflegt.
Erscheint eine Urgestalt aus diesem Sein einem Lebenden ist das mit einer Botschaft verbunden. Je nach Lebenssituation wird sie aus ihrer geistigen Erkenntnis dem Schicksal gerecht werden und zu verstehen geben:
„Die Zeit für dich ist noch nicht gekommen.“
oder
„Alles ist gut, ich begleite dich bei deiner Erlösung.“
Sie kann auch erscheinen,
um einen Menschen die Liebe im jenseitigen Leuchten fühlen zu lassen.
Eine Erfahrung, die sein weiteres Leben prägen wird.
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Ausführlich sind die hier dargestellten Themen in meinen Büchern beschrieben:
„Die Totenbesserung“
ISBN 978-3-033-04100-4
„Die Urgestalt“
ISBN 978-3-033-05491-2
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Nachtrag zur vierten Sequenz:
Bildbeschreibung Getriebenheit
Aus dem Buchmanuskript „Die Gratwanderung“
Der aufgedrehte Alberto
Meine Zeit als Praktikant im Heim für Menschen mit geistiger Behinderung neigte sich langsam ihrem Ende zu. Es war März geworden und die länger und heller werdenden Tage lockten überall zu aktiverem Leben. Vom Vorplatz her hörte ich die Schulkinder. Lebenslust sang in ihren Stimmen, als sei der Frühling bereits in voller Blüte. Rollbretter klapperten über tüftlerisch aufgestellte Hindernisse, an einem Haus hing der Stubenteppich über den Balkon herunter und die Strassenarbeiter zogen einen langen Graben durch die erst im letzten Herbst neu geteerte Strasse.
In allen Bewohnern des Heims regte sich die Lust auf neues Leben und der Tatendrang war kaum zu bremsen. Ich hatte mit meiner Crew als Job den Fahrradunterhalt gefasst. Aus dem hintersten Winkel der Garage rollten wir die Velos hervor und putzten, pumpten und schraubten, was das Zeug hielt. Jeder auf seine Art, und alle zusammen waren wir ein liebenswertes Durcheinander. Ich ölte alle Antriebsketten und nahm dabei die Gelegenheit wahr, mit jedem Rad eine Probefahrt zu machen.
Nach einer Weile trat der Werkstattleiter zu uns heraus. Er wirkte angespannt, und nachdem er einige Male tief durchgeatmet hatte, fragte ich scherzhaft, ob auch er den Frühling spüre. Er antwortete: „Den Frühling spürt Alberto, und wie er ihn spürt, warte nur bis zur Nachmittagssitzung, dann wirst du besser verstehen, warum ich tief Luft holen muss!“
In der Tat bekam ich an der Sitzung Einzelheiten über Albertos emotionale Verfassung zu hören, welche mir die tiefen Atemzüge des Werkstattleiters begreiflich machten. Seit mehr als einer Woche hatte Alberto kaum mehr geschlafen und notabene auch die diensthabenden Betreuungspersonen nicht. In der Nacht, wenn man nicht gleich zur Stelle war, um seine Ausbrüche in ihrem Entstehen zu besänftigen, flogen Stühle, Vasen, Windeln, kurzum alles, was nicht niet- und nagelfest war, zum Fenster hinaus. Es wurde rapportiert, dass von ihm letzte Nacht sogar der Spiegelschrank samt Halterung und Schrauben zum freien Flug durchs geschlossene WC-Fenster genötigt worden war.
Der Heimleiter persönlich führte Alberto nachts um halb drei auf einen ausgiebigen Nachtspaziergang, doch auch diese Aktion blieb ohne nachhaltigen Erfolg. Die Medikamentendosis wurde vom Hausarzt laufend erhöht und trotzdem musste sich der Werkstattleiter mit ihm und seiner Gruppe im jeweiligen Arbeitsraum einschliessen, damit Alberto nicht das Weite suchte. Es wurde an der Sitzung berichtet, dass er früher einmal des Nachts abgehauen war und sich in einer Beiz, die eben noch offen hatte, frisch und fröhlich ein Bier bestellt und auch bekommen hatte. Zusammen mit all den Medikamenten habe er aber schon nach dem ersten Glas nur noch wirres Durcheinander gelallt, worauf er via Polizeiposten wieder ins Heim gebracht wurde.
Überschwänglich und in heiterer Fröhlichkeit plauderte er in diesem Zustand drauflos, unbekümmert darum, was er sagte oder was man ihm darauf antwortete. Im Funkeln seiner dunklen Augen lag ein manischer Wahn, der mich einerseits befremdete, aber auch wie ein Zauber in seinen Bann zog. Er machte auf mich den Eindruck, als sei er über-glücklich und dieses Zuviel an Glück liess seine Arbeit in rasch wechselnde Aktionen ohne Sinnzusammenhang entgleiten. In der Werkstatt nahm er beispielsweise den ganzen Stapel Schmirgelpapier aus dem Regal und stellte ihn mit viel Gestik auf das Fenstersims. Als hätte er vergessen, was er damit tun wollte, steuerte er danach voller Elan den Tisch mit den Farbdosen an. Laut vor sich hin plaudernd, sagte er mit einem befehlsmässigen Unterton zu sich selber: „Heute wird gearbeitet! Wo ist der grosse Pinsel, jawohl, der Superpinsel, – äh, und wo ist jetzt schon wieder der Pinsel?“
Man musste schnell reagieren, denn liess man ihn gewähren, steigerte er sich in seine unlogischen Arbeiten dermassen hinein, dass diese zerstörerisch wurden. Schliesslich war es nicht jedermanns Sache, die manische Umsetzung von Albertos Tatendrang an den Wänden des Heimes als breitflächige, dadaistisch-expressive Kreationen zu betrachten.
An diesem Tag, es war kurz vor Feierabend, bat mich der Werkstattleiter in sein Büro. Er wirkte noch immer nervlich angespannt, seine Hände zitterten leise und seine Worte klangen unruhig. Er sagte: „Wenn wir es nicht in den nächsten Tagen schaffen, Alberto in ruhige Bahnen zu lenken, müssen wir ihn in eine Psychiatrische Klinik überweisen. Wir dürfen im Heim seine Medikamentendosierung nur bis zu einem gewissen Grad steigern und diese Schwelle ist erreicht. Sieh nur auf den Tisch, das sind seine Arzneien, nähme ich nur einen Viertel davon zu mir, läge ich die nächsten drei Tage flach.“ Danach fuhr er fort: „Ich brauche einen Tag Verschnaufpause von Alberto, kannst du morgen seine Betreuung übernehmen?“ Ich überlegte kurz und antwortete ihm: „Natürlich bin ich gerne bereit für diese Aufgabe, aber-“ Ich konnte meinen Satz nicht zu Ende sprechen, denn in diesem Moment klopfte es an die Tür. Der Werkstattleiter ging nach draussen, von wo ich ihn mit einer Erzieherin aus Albertos Wohngruppe reden hörte.
Ich begann, neugierig die Aufschriften und Packungsbeilagen der Medikamente zu lesen. Neben den mir bis anhin bekannten Beruhigungsmitteln fanden sich auch Arzneien darunter, welche die sinnliche Wahrnehmung verminderten, so beispielsweise solche, die das Augenlicht herabsetzten oder die Hörfähigkeit eindämmten. Es wurde mir wundersam und bange zugleich; als ich die geheimnisvollen Pillen in all den Farben auf dem Tisch betrachtete. Alberto musste diese Drogen jeden Tag schlucken und wohl er allein wusste, wie sie in ihm wirkten.
An diesem Abend kochte ich mir zuhause eine Gemüsesuppe und setzte mich danach wie immer, wenn ich in mir über meine Beziehung zu einem Heimbewohner klar werden wollte, mit einem Glas gut gelagerten Rotwein vor das Kaminfeuer. Das Feuer züngelte in kleinen, munteren Flammen zwischen den Buchenscheitern empor. Behutsam schob ich das Holz bei kleiner werdender Glut näher zusammen und legte von Zeit zu Zeit ein Scheit nach. Ich spürte, wie die harmonische Kraft durch das gleichmässige Feuer auf mich überging und wie meine Zeit im Einklang mit den Buchenscheitern ruhig verbrannte. Der Fluss der Gedanken, welcher in den Wellen und Stromschnellen des Tages unablässig weitergedrängt hatte, mündete jetzt in den weiten, tiefen See der Nacht, aber immer wieder durchbrachen die Bilder von Albertos lauter und aufdringlicher Rastlosigkeit meinen Ritus mit den behüteten Flammen.
Symbolisch gesehen warf er alles, was seine Sinne nährte, auf einmal ins Feuer; es gab keinen Einhalt, kein natürliches Mass, auch wenn er sich an den lodernd heissen Flammen selbst verbrannte. Alles, was er wahrnahm, wurde in ihm in schrankenlose Lebensenergie verwandelt, was Alberto zum unkontrollierbaren Spielball seiner Emotionen und Phantasien machte. Seine innere Seelenkraft verwob sich mit den äusseren Sinneswahrnehmungen zu einer unbändigen Naturgewalt, die sein Leben fassungs-los vor sich hertrieb.
Wenn ich das lodernde Feuer kultivieren wollte, dann musste ich einen Weg suchen, seinen inneren Flammen einen Teil der Nahrung zu entziehen. Einige seiner vielen Medikamente dämpften die Sinneswahrnehmung und andere verminderten die seelische Rastlosigkeit. Es war schon spät in der Nacht, als mir klar wurde, dass sowohl mein Verhalten und meine Ausstrahlung als auch die Werkstattatmosphäre, die Wirkung der Arzneien beeinflusste. Ein erlösendes Gefühl begann sich bei diesem Gedanken in mir auszuweiten und beim Einschlafen nahm ich eine Flut von Bildern und Phantasien mit in den Traum.
Am nächsten Morgen betrat ich vor allen anderen Betreuern das Werkstattgebäude. In meinem Arbeitsraum lag noch die Ruhe der Nacht und genau diese Atmosphäre brauchte ich für meine Vorbereitungen. Als Erstes zog ich aus meiner Manteltasche eine Tonbandkassette, bespielt mit langen, traurigen Opernarien von Giuseppe Verdi. Ich spielte sie im Recorder, regulierte die Lautstärke und ging dazu im Raum umher. Danach liess ich gegen Osten hin die Jalousien herunter und stellte die grauen Lamellen fast senkrecht, damit sie nur wenig Licht hereinlassen konnten.
Anschliessend bereitete ich in der hintersten Ecke der Werkstatt einen Tisch mit Malutensilien vor und so weit wie möglich davon entfernt die Hobelbank, an der ich zwei Holzstücke zum Zersägen einspannte. Es durfte keine Maschine laufen, kein unnötiges Hin- und Hergehen sollte nötig sein; in der ersten Arbeitsstunde heute Morgen sollte sich alles in Ruhe, Loslassen und meditatives In–sich-Sein verwandeln.
In diesem Moment hörte ich draussen die lauten, fröhlichen Begrüssungsrufe von Alberto. Mit der Selbstverständlichkeit eines Feldwebels zwang er allem und jedem seine manische Stimmung auf, ja selbst die schwere Eingangstüre aus Glas und Eisen wuchtete er mit seiner Flanke beinahe aus den Angeln. Christine, seine Betreuerin, suchte immer wieder seine Hand, während er sie unablässig abschüttelte. Alberto war wie ein Wirbelwind und alles, was in seinen Sog geriet, wurde von ihm durchgeschüttelt.
Als er endlich seine Jacke ausgezogen hatte, zeigte Christine auf mich, und sagte: „Da ist Andreas, du wirst heute bei ihm arbeiten. Geh hin und gibt ihm deine Hand!“ Er gehorchte aufs Wort, mit grossen Schritten stürmte er auf mich zu, ergriff meine Hand und schüttelte sie in dermassen grossen, kräftigen Schwüngen, dass es mir beinah die Schulter verrenkte.
Ich liess in zuerst gewähren, nahm dann aber den Schwung aus der Bewegung unserer Arme, indem ich das Auf und Ab unserer Hände mit aller Kraft verlangsamte. Als sich unserer Begrüssung nur noch im Zeitlupentempo vollzog, begann ich mit lang gedehnten Worten zu sprechen: „Aaaaalbeeeeertooo, guuuteeeen Moooorgeeeeen, guuuuuteeeen Moooorgeeen Aaaaalbeeerto. Wiiiir geeeheeen jeeeetz Aaaarbeeeeiiiiteeen.“ Während ich noch immer seine Hand festhielt, legte ich ihm den anderen Arm um die Schulter und so gingen wir mit ruhigen Schritten zu Albertos Werkbank mit den eingespannten Holzstücken.
Es war wie bei einem wilden Tier, welchem man mit ruhigem Zureden seine Instinktscheu besänftigt: „Aaaalbeeertooo, seeetz diiiiich hieieieirheeeer, wiiiir weeerdeeen heueueueteee sääääägeeeen.“ (Al-ber-to, – setz – dich – hier-her…) Er griff nach der Säge und setzte sie am Holz mit schnellen, unkontrollierten Zickzack-Bewegungen an. Ich nahm die Hand, mit der er die Säge hielt, führte sie solange über das Holz, bis er einen ruhigen Rhythmus gefunden hatte, und sprach in Zeitlupensprache weiter: „Laaangsaaam, Aaaalbeeertooo, laaangsaam.“
Meine suggestive Anleitung wirkte dermassen rasch auf ihn, dass es mich selber erstaunte. Sägend versank er in eine Apathie, welche ihn von den äusseren Sinneswahrnehmungen abzukapseln schien. Die Werkstatttüre stand noch immer offen und vom Flur drang der Lärm der anderen zu uns herein, aber ich konnte sie offenlassen, als sei es ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag.
Die anderen zu betreuenden in meiner Gruppe, denen ich die Anweisung gegeben hatte, sich am Tisch in der Mal Ecke die Arbeitsjacke anzuziehen, warteten geduldig. Ich ging jetzt zu ihnen hinüber und leitete sie zu ihrer Arbeit an. Als ich wieder zu Alberto zurückkam, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Er sass bewegungslos da, den Kopf auf den Arm gestützt und aus dem halb geöffneten Mund rann ihm der Speichel in langen Fäden auf den Tisch. In seinen Augen war das glänzende Feuer erloschen, sie wirkten hohl und die Wirkung der lähmenden Medikamente drohten ihn vom Stuhl zu kippen.
Bei diesem Anblick war mir nicht wohl. Er drohte in einen teilnahmslosen Betäubungszustand abzusinken; ich musste Alberto da behutsam wieder herausführen und sagte: „Alberto, es wird Zeit zu arbeiten.“ Danach rief ich Anton an unseren Tisch, der alsbald freudig und in gleichmässigen Zügen zu sägen begann. Wieder nahm ich Albertos Hand mit der Säge und führte sie synchron zu Antons ruhigen Bewegungen über das Holz. Das Tonband mit den traurigen Arien von Giuseppe Verdi war inzwischen zu Ende und ich legte die Kassette mit Mozarts feierlichen Hornkonzerten ein. Auch die Lamellen der Jalousien öffnete ich etwas und beobachtete bei all meinem Tun, wie es sich auf Albertos emotionale Verfassung auswirkte.
Jetzt, wo sein Vulkan erloschen war, stand er wie unter einem apathischen Medikamentenschock. Er fuhr zwar im Gleichklang zu Antons Bewegungen über das Holz, liess jedoch dabei alle Kraft vermissen. In humorvollem Ton sagte ich: „Das Holz hat sicher seine Freude, wenn du es so sanft mit der Säge streichelst, aber du darfst ruhig ein bisschen mehr drücken, weißt du, damit auch einige Sägespäne herunterfallen.“ Mit dem gleichen humorvollen Unterton gab er mir zur Antwort: „Holz streicheln, ha ha, mit einer Säge Holz streicheln, ha ha.“ Von diesem Moment an war unsere Beziehung gefestigt. Alberto hatte ein aufmerksames Zutrauen zu mir gefunden, er hörte mir zu und reagierte auf meine Anweisungen. Wir gingen gemeinsam mit unserer Gruppe in die Vormittagspause, als wäre dies das Selbstverständlichste auf der Welt. Alberto sass mir vis-à-vis und verzehrte gelassen sein Pausenbrot.
Nach einer Weile kam eine Gruppenleiterin, die nichts von meiner Aufgabe mit Alberto wusste, an unseren Tisch und erklärte mir, dass Stefan, ein grosser, kräftiger Bursche, sie fast zur Verzweiflung bringe. Entweder beisse er seine Kolleginnen und Kollegen oder es treibe ihn bis zur Raserei im Gruppenraum umher. Dann fragte sie mich, ob ich bereit wäre, nach der Pause mit ihm einen Spaziergang zu machen. Für sie sei dies nicht möglich, denn wenn Stefan in dieser Verfassung draussen Reissaus nehme, brauche es einen Mann, um ihm nachzulaufen und ihn wieder auf den richtigen Weg zu führen.“
„Aha“, sagte ich zu ihr und wendetet mich Alberto zu: „Hast du gehört Alberto, es braucht einen Mann. Das ist eine gute Arbeit für dich, wir gehen nach der Pause auf einen Spaziergang und du kannst Stefan an der Hand führen, bis wir wieder zuhause sind. Das ist eine Arbeit, da braucht es einen Mann; möchtest du diese Aufgabe übernehmen?“
Alberto antwortete in seiner eigenen Ausdrucksart: „Ja ja, es braucht eine Hand für einen Stefan, damit der Mann wieder bis nach Hause kommt. Ja ja, wir gehen spazieren.“ Gesagt, getan. Nach der Pause zogen wir los, vorne weg lief Stefan, geschickt an der Hand geführt von Alberto. Verträumt folgte ein paar Schritte dahinter Anton und ich bildete mit einigem Abstand den Schluss.
In tiefen Zügen atmete ich die frische Morgenluft und ich war stolz und glücklich auf diesen Moment, der mir wie ein Abschiedsgeschenk für meine Arbeit im Heim und an mich selber vorkam. Es war mir nicht möglich, jemandem mitzuteilen, wieso Alberto und Steffan eine Stunde lang friedlich miteinander Hand in Hand spazierten, wo sie doch beide in den letzten Tagen auf Schritt und Tritt ein Chaos hinterlassen hatten.
Der Werkstattleiter fragte mich an diesem Abend, wie es möglich gewesen sei, die Türe zum Arbeitsraum offen zu lassen, ohne dass Alberto auf und davon ging? Ausserdem habe er uns zugesehen, fügte er hinzu, als wir auf den Spaziergang gingen und wieder nach Hause kamen; für ihn grenze dies an ein Wunder. Ich antwortete ihm: „Glaube mir, auch ich wundere mich, sehr sogar.“
Im Grunde genommen war es eine Selbstverständlichkeit, die ich mir selbst nicht erklären konnte, aber eines war mir während der oftmals irreal scheinenden Zeit im Heim bewusst geworden: Zwischen Himmel und Erde und tief in meinem Innern existiert viel mehr, als mein Verstand erfassen kann. Es waren die langen Nächte der Stille, die mich lehrten, auf schwebenden Brücken jene Wirklichkeiten wahrzunehmen und in ihnen das zu tun, was lindernd auf die Schmerzen der Seele wirkt.
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